Sehr geehrter Herr Förster,
nachdem CAVALLO bereits das Abreiten auf dem Mannheimer Maimarkt sowie im Islandpferde-Sport unter die Lupe nahm, werden wir uns in der nächsten Ausgabe dem Westernreiten widmen. Dazu waren wir mit Frau Dr. Ulrike Thiel bei der Q8 in Aachen. Sie wird das Gesehene und die dort entstandenen Fotos auch in dem Bericht kommentieren. Diese Fotos schicke ich Ihnen nun ebenfalls mit der Bitte, Sie aus Ihrer Sicht zu kommentieren. Da die DQHA unter anderem mittels Aufsicht auf den Abreiteplätzen selbst gegen Auswüchse vorgeht, dürfte eine prägnante Kommentierung Ihrerseits für das Bild des Westernreitsports in der Öffentlichkeit von großem Interesse sein.
Neben der Kommentierung der Reit-Fotos wäre es für unsere Leser auch von großem Interesse zu wissen, weshalb in der Nacht abgeritten wird und inwieweit die Zäumungen/Hilfszügel der Pferde beim Abreiten reglementiert sind. Insbesondere das Gebiss auf dem Foto 3570 wird von Fachleuten kritisiert. Um was für ein Gebiss handelt es sich überhaupt und ist es regelkonform, damit abzureiten?
Ihre Kommentare benötige ich bis spätestens Montag, 3. November. Ich hoffe sehr auf Ihre Kooperation und verbleibe mit freundlichen Grüßen,
Linda Krüger
Sehr geehrte Frau Krüger,
schon zu Xenophons Zeiten hat man intensiv und auch emotional über Trainings- und Ausbildungsmethoden von Pferden diskutiert. In Zeiten hoher Leistungsanforderungen an Pferd und Reiter und steigenden finanziellen Interessen aber sind sie vielleicht wichtiger denn je, denn meist haben diese Diskussionen auch zu einer Verbesserung der Situation geführt.
Ich kann nicht ausschließen, dass auch auf der Q8 in Aachen möglicherweise ein Pferd ungerechtfertigt scharf behandelt wurde. Bei mehr als 2000 Starts kann auch der besten Aufsicht auf dem Abreiteplatz etwas entgehen.
Eine allgemeine und damit unverbindliche Schelte aber wird der Sache nicht gerecht, denn ebenso wenig wie alle Westernreiter Anhänger der Hyperflexion sind, dopen alle Springreiter oder schlagen Dressurreiter in den Niederlanden Zuhause ihre Pferde.
In der ‚Section IV - Show Regeln und Bestimmungen’ des Regelbuchs der DQHA sind die Anforderungen an den Umgang mit dem Pferd deutlich formuliert. Gerne schicke ich Ihnen bei Interesse ein Regelbuch zu, Sie können es aber unter www.dqha.de auch downloaden.
Ihre Fotos – wie Sie es formulieren ‚prägnant’ zu kommentieren – ist aus der Distanz und in der Momentaufnahme nicht möglich. Ich war in der jeweiligen Situation nicht dabei und möchte nicht über Verhaltensweisen von Menschen urteilen oder gar richten, ohne auch sie selbst zu Wort kommen zu lassen und ihre Gründe zu hören. In Aachen trafen sich Europas erfolgreichste Westernreiter und Trainer, der Vorstand war komplett vor Ort, es hätte also zu jeder Zeit die Möglichkeit gegeben, sich kompetente fachliche Informationen einzuholen oder auch direkt ‚Ross und Reiter’ zu nennen und anzusprechen. Vielleicht hätte man damit auch einem betroffenen Pferd weitere unsachgemäße Behandlung oder gar Schmerzen ersparen können. Ich bin sicher, auch die Aufsicht am Abreiteplatz wäre einem Hinweis sofort nachgekommen. Nicht zuletzt kann ein Westernpferd sein Maul auch schneller und leichter öffnen, als ein Pferd mit klassischer Zäumung, da es keinen Sperr-Riemen hat, der das Pferdemaul zuhält.
Auf dem Gelände der Soers waren rund 650 Pferd- Reiter-Kombinationen, vom Fohlen bis zum alt gedienten Turniercrack, mit 2060 Starts in den verschiedensten Disziplinen und Prüfungen unterwegs. Sie alle mussten sich natürlich vorbereiten. Nun können sich aber, wenn es ordentlich und korrekt ablaufen soll, zum Beispiel Pleasure- und Trailreiter sich nicht die Halle mit Reiningreitern teilen. Zu unterschiedlich sind die Nutzung des Hufschlags, das Tempo und die notwendigen Hallenlinien. Um eine korrekte und saubere Vorbereitung zu gewährleisten, haben wir eine Zeiteinteilung zum Abreiten aufgestellt.
Wie der Mensch sind Pferde ebenfalls prinzipiell tagaktiv, haben aber auch nachts mehrere Aktivitätsphasen, so das Resultat einer Langzeitstudie des Berliner Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW). Die Ergebnisse bestätigen frühere Untersuchungen, wonach die so genannte circadiane (lateinisch: circa = ungefähr und dies = Tag) Rhythmik beim Pferd nicht wie beim Menschen in eine siebzehnstündige Wach- und siebenstündige Schlafphase unterteilt ist, sondern in ein polyphasisches Tagesmuster: Aktivitäts-, Ruhe- und Fressphasen wechseln sich ab, wobei auf jede Bewegungsphase eine ähnlich lange Ruhephase folgt. Erwachsene Pferde sind im Durchschnitt zwei bis drei Stunden aktiv und erholen sich anschließend bis zu drei Stunden. Zwar weisen Pferde ein festes Grundmuster so genannter infradianer (lateinisch: infra = unter, weil sie weniger als einen Tag dauern) Rhythmen auf, können dieses aber auch an veränderte Umweltbedingungen anpassen.
Dieser polyphasische Tagesrhythmus macht das Pferd extrem flexibel für äußere Zeitgeber und zeigt zugleich auch die enorme Anpassungsfähigkeit. Mit entsprechenden Ruhezeiten können also Pferde – wenn sie dran gewöhnt sind – durchaus auch zu später Stunde geritten werden. Ganz offensichtlich aber sind sie hier sogar flexibler als ihre Reiter, denn die nächtlichen Abreitestunden wurden nicht genutzt und die Aufsicht saß alleine in der Halle.
Bei dem von Ihnen angesprochenen Gebiss handelt es sich um ein so genanntes Lifter Bit, das sowohl eine Stange, als auch eine Wassertrense als Mundstück haben kann. Es wurde in den USA entwickelt und ist – nach amerikanischem Regelbuch der AQHA – auch in den Prüfungen erlaubt. Da Sie es offensichtlich nicht kennen, erlaube ich mir eine kurze Erklärung: Wenn der Reiter mit einem herkömmlichen Gebiss an den Zügeln zieht, geht die Zugkraft durch die Zügel direkt zum Mundstück, wobei der ganze Druck unmittelbar im Maul des Pferdes ausgeübt wird. Der Kinnriemen wirkt als Hebel und verstärkt den Druck im Maul noch zusätzlich. Dieser direkte Zug am Maul bewirkt, dass das Pferd die Schultern senkt, da es in Richtung Boden gelenkt wird. Wenn der Reiter mit dem Lifter Bit an den Zügeln zieht, geht die Zugkraft durch die Zügel direkt zum Mundstück, wo sich der Druck aufspaltet und dann gleichmäßig zwischen Mundstück und Kinnriemen verteilt wird. Dieser neue Hebel signalisiert dem Pferd sich zu versammeln und die Schultern zu heben, da der Druck nicht nach unten sondern nach oben geht. Es soll das Pferd dazu bringen die Schulter zu heben ohne Angst im Maul zu haben. Natürlich gehört auch dieses Bit in vorsichtige Hände!
Ich möchte mich an dieser Stelle nicht in der altbekannten Wahrheit verlieren, dass ein Gebiss nur so scharf ist wie die Hand des Reiters und dass vermeintlich oder tatsächlich scharfe Gebisse nur in die Hand eines fortgeschrittenen Reiters gehören. Ebenso wenig aber sind milde Gebisse kein Freibrief, denn auch das mildeste Gebiss kann dem Pferd Schmerzen bereiten, wenn es der Reiter unsachgemäß handhabt.
Gerne lade ich Sie und Ihre Autorin Dr. Ulrike Thiel ein, mit Trainern und Reitern der Q8 zu diskutieren, denn auch Ihre journalistische Kompetenz zeichnet sich sicher durch Fachwissen und Recherche zur Einordnung des Spezialwissens in Zusammenhänge aus.
Gestatten Sie mir zum Ende noch den Hinweis, dass trotz der ‚Balken’ über den Gesichtern der Reiter, alle deutlich erkennbar und zu identifizieren sind und Sie die rechtliche Seite der Veröffentlichung vielleicht noch einmal überprüfen sollten.
Sollten Sie noch weitere Fragen haben oder Informationen wünschen, zögern Sie bitte nicht, wieder Kontakt mit mir aufzunehmen.
Mit freundlichen Grüßen
Hans-Jürgen Förster
1. Vorsitzender
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